Fahrer kleiner Autos sind stärker gefährdet
In den USA gibt es eine Diskussion darüber, ob der Trend zu kleineren, sparsameren Autos die Verkehrssicherheit reduziert
Die renommierte amerikanische Tageszeitung USA TODAY wählte drastische Worte: Amerikaner kaufen vermehrt kleine Autos, um die Spritkosten zu senken und bezahlen dies möglicherweise mit ihrem Leben, schrieb das Blatt. Was zunächst wie ein schlechter Scherz klingt, hat einen ernsten Hintergrund. Nach einer Studie der Akademie der Wissenschaft (National Academy of Sciences, NAS) und dem Institut für Highway-Sicherheit (Insurance Institute for Highway Safety, IIHS) ist das Risiko in einem Kleinwagen tödlich zu verunglücken fast doppelt so hoch wie in einem Sport Utility Vehicle.
Die entsprechenden Zahlen berechneten die Wissenschaftler auf der Grundlage des realen Unfallgeschehens in den USA. Demnach kamen im beobachteten Zeitraum in kleinen Autos 108 Insassen pro eine Million Fahrzeuge ums Leben, in der Mittelklasse 70, in der Oberklasse 67 und bei den SUVs 55. Dass dennoch nicht die Regel gilt, je schwerer desto sicherer, zeigt das Gefährdungspotenzial in schweren Geländewagen und Pickups, das nahezu identisch ist mit dem in Kleinwagen. Die Autoren lassen keinen Zweifel daran, dass moderne „Small Cars“ mit Airbags und Stabilitätssystem sicherer seien als je zuvor. Trotzdem betont der Präsident des IIHS Adrian Lund, dass Leute die sich nach einem kleineren Auto umschauen, wissen müssen, dass sie sich und ihre Familien einem erhöhten Risiko aussetzen.
Der Verdacht, hier werde unverhohlen dafür geworben, wieder vermehrt große, schwere und durstige Straßenkreuzer vorzugsweise aus amerikanischen Fabriken zu kaufen, erweist sich als unbegründet. Eines der sichersten Autos sei der VW Jetta, sagt Marc Ross, ein Physik-Professor Michigan. Weniger Verbrauch ohne Kompromisse bei der Sicherheit einzugehen sei also prinzipiell möglich. Welche Rückschlüsse die amerikanischen Verbraucher aus der Studie ziehen, wird die Zukunft zeigen. Bei einem rückläufigen Gesamtmarkt waren in diesem Jahr Kleinwagen und Sport Utility Vehicles die einzigen Segmente, die zulegen konnten. Sicher wird die bevorstehende Markteinführung des Smart in den USA die Diskussion über die Sicherheit kleiner Autos weiter anheizen.
Aber auch Europa wäre gut beraten, nicht nur nach Fünf-Sterne-Resultaten des EuroNCAP-Crashtests zu schielen, sondern reale Unfälle stärker in die Beurteilung einzubeziehen, die offenbar wichtige zusätzliche Erkenntnisse bringen. Einzelne Hersteller haben Unfallforscher, die dies tun, doch offiziell auf europäischer Ebene ist das Thema scheinbar tabu. Vielleicht, weil es nicht zu den CO2-Plänen der EU passt. Dabei zeigt das Beispiel USA, dass eine ganzheitliche Sicht dringend geboten ist. Wer einseitig nur Verbrauch und CO2-Werte ins Visier nimmt, ohne der Sicherheit einen ebenbürtigen Stellenwert einzuräumen, wird seiner Verantwortung nicht gerecht. Europa braucht Fahrzeuge, die sparsam und sicher sind. Das ist wichtiger als das fast schon peinliche Gezerre um letztendlich willkürlich festgesetzte Grenzwerte.
Hans-Joachim Rehg