Schlechtes Klima
Die Deutsche Autoindustrie ist in Verruf geraten. Sie tue zu wenig für den Klimaschutz, lautet der Vorwurf. Doch in der hitzig geführten Debatte ist so manches vernünftige Argument unter die Räder geraten.
Es ist ein mittlerweile bekanntes Phänomen: Sobald ein Umweltproblem stärker ins öffentliche Bewusstsein rückt, steht die Autoindustrie am Pranger. Das geschieht fast reflexartig und meist gelingt es im zweiten Atemzug, speziell den deutschen Herstellern eine besondere Schwere der Schuld zuzuweisen. Das war beim Feinstaub so und wiederholt sich jetzt beim Thema CO2-Emissionen und Klimaschutz. In beiden Fällen war und ist die Debatte geprägt von Vorurteilen und teilweise erschreckender Unkenntnis. Zwei denkbar ungeeignete Voraussetzungen für eine faire und differenzierte Diskussion. Dabei wäre Sachlichkeit dringend geboten – gerade bei einem so gravierenden Problem wie dem Klimaschutz.
Um es vorweg zu nehmen: Die während der internationalen Konferenz in Paris aufgezeigten Folgen einer Veränderung unseres Klimas sind derart erschreckend, dass alle, die mit Treibhausgasen zu tun haben, in die Verantwortung gezogen werden müssen. Selbstverständlich auch die Hersteller von Automobilen. Dass von der EU und einigen Mitgliedern der Bundesregierung der Eindruck erweckt wird, die Autoindustrie sei Hauptverursacher der CO2-Emissionen, hält aber einer nüchternen Bestandsaufnahme nicht stand. Den Vorständen der großen Energieversorger und den Betreibern der Braunkohle-Kraftwerke muss es geradezu paradox vorgekommen, morgens die Zeitung aufzuschlagen, um erfreut festzustellen, dass man wieder einmal ungeschoren davon gekommen ist.
Mit der Beantwortung der zehn wichtigsten Fragen zum Thema »Klimaschutz und Straßenverkehr« möchte Auto&Reise dazu beitragen, dass die Diskussion über Klimaschutz auf eine sachliche Ebene zurückkehrt.
Wie hoch ist der Anteil des Pkw-Verkehrs am CO2-Aufkommen?
Selbst EU-Umweltkommissar Stavros Dimas räumt ein, dass der Pkw-Verkehr mit einem Anteil von 12 Prozent am Kohlendioxid-Aufkommen keinesfalls der Hauptverursacher ist. Die mit Abstand größten Emittenten sind die Stromproduzenten (43,2%, siehe Grafik). Der CO2-Ausstoß des neuen Braunkohle-Kraftwerks in Neurath bei Köln beispielsweise entspricht dem von sechs Millionen (!) Kraftfahrzeugen. Nach den Plänen der Bundesregierung soll dieses Kraftwerk 14 Jahre lang von allen Klimaschutz-Auflagen ausgenommen sein.
Liegen die CO2-Durchschnittswerte der deutschen Hersteller tatsächlich über denen anderer europäischer Anbieter?
Die CO2-Emissionen über den gesamten Modell-Mix gerechnet betragen bei VW derzeit 159 g/km, bei Ford und Opel sind die Werte etwas geringer, bei Audi, BMW und Mercedes höher (siehe Übersicht). Citroen, Fiat, Peugeot und Renault können bessere Zahlen vorweisen. Doch der Grund für diese Differenz ist nicht etwa ein technischer Vorsprung sondern die unterschiedliche Nachfragestruktur. Die südeuropäischen Marken wie Fiat oder Peugeot verkaufen überwiegend Kleinwagen. Autokäufer, die ein Modell der gehobenen Mittelklasse suchen, entscheiden sich eher für einen Audi A6, 5er BMW, die Mercedes E-Klasse oder einen VW Passat, die zwangsläufig mehr verbrauchen als kleine Autos. Besonders pikant ist in diesem Zusammenhang der Aufruf der Grünen-Fraktionschefin Renate Künast, jetzt japanische Autos statt deutsche zu kaufen, weil diese umweltfreundlicher seien. Toyota hat zwar bei der Hybridtechnik Pionierarbeit geleistet, liegt aber beim CO2-Ausstoß insgesamt mit 163 g/km hinter Volkswagen.
Warum wird die deutsche Autoindustrie immer besonders hart kritisiert?
Mit einer Exportquote von über 70 Prozent ist die deutsche Autoindustrie weltweit außerordentlich erfolgreich. Besonders die gehobenen und damit lukrativen Marktsegmente werden – zumindest in weiten Teilen Europas – von deutschen Marken dominiert. Das ruft Neider auf den Plan. Dass kritische Stimmen oft aus Brüssel kommen, kann da kaum verwundern. Allerdings hat sich die deutsche Autoindustrie wiederholt in die Defensive drängen lassen und schweigend in einen Schmollwinkel zurückgezogen, statt offensiv zu argumentieren. Die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Hersteller ist ein einziges Desaster.
Hat die deutsche Autoindustrie weitere Fehler gemacht?
Die ersten sparsamen und umweltfreundlichen Autos sind in Deutschland entwickelt und gebaut worden. Beispiele dafür sind der Golf Ecomatic, der Astra Eco4, der Drei-Liter-Lupo und der Audi A2 1.2 TDI. Leider war keines dieser Autos am Markt wirklich erfolgreich. Die deutschen Hersteller haben sich davon zu schnell entmutigen lassen und sich ihrer Lieblingsbeschäftigung gewidmet: der Entwicklung von großen, leistungsstarken Autos. Die Leistungsspirale konnte sich zeitweise gar nicht schnell genug nach oben drehen. Mercedes bietet mittlerweile in sieben Baureihen Fahrzeuge mit mehr als 500 PS an. Klammheimlich wurde die freiwillige Selbstbeschränkung auf 250 km/h Höchstgeschwindigkeit bei AMG-Modellen und BMW M-Fahrzeugen aufgeweicht. Strategische Fehler, die vielleicht geholfen haben, ein paar Autos mehr zu verkaufen, die sich jetzt aber bitter rächen. Gleichzeitig hat man das Potenzial der Hybridtechnik unterschätzt und sich zu lange ausschließlich auf den Diesel konzentriert.
Mit welcher Technik kann der CO2-Ausstoß von Kraftfahrzeugen verringert werden?
Immer wieder wird die Hybrid-Technik genannt, wenn es um die Zukunft der Mobilität geht. Wunder aber vollbringen Hybrid-Autos nicht. Auch sie fahren nicht mit Rückenwind, sondern mit handelsüblichem Kraftstoff. Weil sie aber beim Bremsen und Ausrollen über einen Generator Energie zurück gewinnen, sind sie im dichten Verkehr in Ballungszentren sehr sparsam unterwegs. Auf der Strecke schmilzt dieser Vorteil dahin. In bestimmten Fahrsituationen hat ein moderner, verbrauchsgünstiger Diesel sogar Vorteile. BMW zeigt beim neuen 118i, dass bereits eine Start-Stopp-Automatik, die den Verbrauch im Stand auf Null reduziert, eine erhebliche Verbrauchsminderung bringt. Auch Erdgas-Fahrzeuge helfen, den Ausstoß des Treibhausgases zu mindern. Sie emittieren etwa 20 Prozent weniger CO2 als vergleichbare Benziner. Mit ihrem reichhaltigen Angebot an Erdgas-Autos sind deutsche Hersteller führend.
Unabhängig vom Antrieb wird es zu nennenswerten Einsparungen aber nur kommen, wenn es gelingt, das Gewicht der Fahrzeuge zu reduzieren. Hierbei kann die Politik einen entscheidenden Beitrag leisten. Weltweit gibt es einige Dutzend Sicherheitsvorschriften, die teilweise im Widerspruch zueinander stehen und die dennoch erfüllt werden müssen, was in den meisten Fällen zusätzliches Gewicht bedeutet. Strikte Recycling-Vorgaben mögen sinnvoll sein, aber dort, wo sie intelligenten Leichtbau behindern, gehören sie auf den Prüfstand. Ohne eine drastische Gewichtsreduzierung werden wirklich durchgreifende Fortschritte bei Verbrauch und Emission nicht möglich sein.
Stehen Sport- und Geländewagen und schwere Limousinen jetzt vor dem Aus?
Es wäre fatal, jetzt eine Diskussion darüber zu beginnen, welche Fahrzeuge umweltpolitisch korrekt sind und welche nicht. Letztlich stellt auch niemand in Frage, dass ein Einfamilienhaus mehr Energie benötigt als ein Studenten-Appartement. Genauso wenig kann man von einer Mercedes E-Klasse den Verbrauch eines zweisitzigen Smart verlangen. Die Forderung muss lauten, dass alle besser werden. Selbstverständlich ist aber die Frage erlaubt, ob ein schwerer Geländewagen mit einem Acht- oder Zwölfzylindermotor sinnvoll motorisiert ist. Möglicherweise wird sich der Trend zu Crossover-Konzepten (beispielsweise dem Stilmix aus Kombi, Van und Sport Utility Vehicles) noch verstärken, weil diese Fahrzeuge mit ihrer meist höheren Bauart ideale Raumvoraussetzungen bieten für den Einbau zusätzlicher Tanks, Batterien oder Elektroantriebe.
Kann jeder einzelne Autofahrer dazu beitragen, den CO2-Ausstoß zu reduzieren?
Grundsätzlich sind alle genannten CO2 –Angaben bei Automobilen theoretische Werte, die nach dem Normverbrauch berechnet werden. Was tatsächlich emittiert wird, bestimmt der Autofahrer selbst durch seine Fahrweise. Wer sparsam fährt, Vollgas und Kavalierstarts vermeidet, verursacht im Einzelfall mit einer großen Limousine weniger CO2 als ein Kleinwagenfahrer, der nervös in jede Lücke sprintet.
Was würde ein generelles Tempolimit bringen?
Was Tempolimits auf Autobahnen anbelangt, ist Deutschland ein einziger Fleckenteppich. Auf rund 60 Prozent der 12 000 Autobahn-Kilometer ist nach Angaben von Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee das Tempo generell oder zeitweise begrenzt. Es gibt Strecken, auf denen innerhalb von zehn Kilometern fünfmal die Geschwindigkeitsbegrenzung wechselt. Ein vernünftiger Verkehrsfluss kommt so kaum zustande.
Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes gäbe es bei einem Tempolimit von 120 km/h lediglich eine CO2-Reduktion um 0,3 Prozent. Welche Einsparungen möglich wären, wenn es gelänge unter Einbeziehung eines Limits, öfter als heute einen gleichmäßig fließenden Verkehr zu erreichen, hat noch niemand berechnet. Zwölf Milliarden Liter Kraftstoff werden jährlich in Deutschland allein im Stau und beim Stop-and-go-Verkehr vergeudet.
Ist eine Kfz-Steuer nach CO2-Kritierien sinnvoll?
Eine Besteuerung nach Kriterien der CO2-Emission statt nach Hubraum und Schadstoff-Klasse wird unter anderem vom Verband der Automobilindustrie und dem ADAC befürwortet. Mittlerweile gibt es aber eine Reihe skeptischer Stimmen. Ein Problem ist, dass die CO2-Werte von Kraftfahrzeugen erst seit fünf Jahren offiziell erfasst werden. Die Besteuerung älterer Fahrzeuge nach dem neuen Modell wäre somit schwierig. Dazu kommt die Frage der Steuergerechtigkeit, weil zusätzliche Ausstattungen und Veränderungen am Fahrzeug auch den CO2-Wert verändern. Eines sollte unbedingt vermieden werden: Dass eine Umstellung der Kfz-Steuer zu einem noch größeren Verwaltungsaufwand führt.
Können Biokraftstoffe zu einer Verringerung der CO2-Belastung beitragen?
Pflanzen nehmen während der Wachstumsphase ungefähr so viel CO2 auf, wie sie später bei der Verbrennung als Biokraftstoff wieder an die Atmosphäre abgeben. Man bezeichnet den aus Biomasse gewonnenen Sprit deshalb als CO2-neutral. Plausibel ist diese Rechnung aber nur, wenn die Energielieferanten auf bislang brachliegenden Flächen angebaut werden. Werden wie in Brasilien Regenwälder gerodet, um anschließend Zuckerrohr für die Ethanol-Produktion anzubauen, ist der gewonnene Kraftstoff allerdings alles andere als CO2-neutral.
Fazit: Das Automobil kann und muss seinen Beitrag zur CO2-Verminderung leisten. Wer aber glaubt, alle Verantwortung auf die Autoindustrie abwälzen zu können, wird weder dem Problem gerecht noch beim Klimaschutz die erforderlichen Erfolge erzielen.
Hans-Joachim Rehg