Kraftstoff mit Zukunft
Um künftige CO2-Grenzwerte einzuhalten, will der VW-Konzern deutlich mehr Erdgas-Fahrzeuge anbieten als bisher
Als Kraftstoff für Ottomotoren war Erdgas fast schon in Vergessenheit geraten. Zwar stieg die Zahl der Tankstellen, die den gasförmigen Sprit anbieten, zuletzt auf knapp über 900 Zapfsäulen, doch das Angebot an Erdgas-Fahrzeugen stagniert seit Jahren auf niedrigem Niveau. Verschwindend gering auch der Bestand: Nur rund 90.000 in Deutschland zugelassene Autos tanken Erdgas. In Italien sind es rund 780.000 und selbst in Thailand gibt es dreimal mehr als hierzulande. Doch dies soll sich nun ändern. Schon bei der Präsentation des Golf VII im vergangenen Jahr hat VW-Chef Dr. Martin Winterkorn angekündigt, dass Volkswagen sich intensiver als bisher um Erdgas kümmern werde. Inzwischen hat der für Forschung und Entwicklung zuständige VW-Vorstand Dr. Ulrich Hackenberg dieses Bekenntnis bekräftigt und konkretisiert. Da VW mittlerweile Erdgas-Fahrzeuge in die Serienentwicklung integriert habe, sei mit steigenden Stückzahlen und sinkenden Kosten zu rechnen, versprach er am Rande eines Technik-Workshops in München.
Warum Erdgas plötzlich in den Fokus rückt, hat eine Reihe von Gründen. Nicht alle sind erfreulich. Denn unter anderem verbirgt sich hinter der Erdgas-Renaissance das Eingeständnis, dass die Elektro-Mobilität in absehbarer Zeit nicht in dem Maße zur CO2-Reduzierung beitragen kann, wie die Autoindustrie dies erhofft hatte. So haben sich Spekulationen auf einen raschen Preisverfall bei Lithium-Ionen-Akkus als ebenso trügerisch erwiesen, wie die Annahme, genügend Autokäufer würden bereit sein, für eine neue Technologie tiefer in die Tasche zu greifen. In Wahrheit kosten Akkus immer noch um die 450 Euro pro Kilowattstunde und die Nachfrage nach Elektroautos hält sich in engen Grenzen. Beides hat beispielsweise Audi dazu bewogen, die Elektroversion des A2 und den serienreifen R8 e-tron auf Eis zu legen. Auch die Arbeiten am Opel Adam mit Elektroantrieb wurden beendet, weil ein Kosten deckender Preis am Markt kaum zu erzielen wäre.
In einem ähnlichen Dilemma steckt die Brennstoffzelle, die den Strom für Elektromotoren an Bord des Autos produzieren könnte. Gerade hat Mercedes die für 2014 geplante Premiere der B-Klasse mit Brennstoffzellen-Antrieb auf 2017 verschoben. Bis dahin soll in der neu gebildeten Allianz mit Nissan und Ford gemeinsam versucht werden, die Kosten zu senken und den Ausbau der praktisch noch nicht vorhandenen Infrastruktur voranzutreiben. Auch wenn Hersteller wie Hyundai und Toyota optimistischere Prognosen verbreiten, ist das Brennstoffzellen-Auto für Jedermann noch in ähnlich weiter Ferne wie die Urlaubsreise zum Mond.
Um die EU-Vorgabe zu erfüllen, bis 2020 bei der Neufahrzeugflotte einen durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 95 Gramm pro gefahrenem Kilometer zu erreichen, können die Autohersteller deshalb kaum auf einen nennenswerten Skaleneffekt durch reine Elektro-Antriebe rechnen. Den Grenzwert nur mit der Optimierung konventioneller Motoren einzuhalten, dürfte ebenfalls kaum gelingen. Als aussichtsreich gelten dagegen Hybrid-Antriebe, insbesondere solche Systeme, die an der Steckdose aufgeladen werden können, und – neuerdings – Erdgas.
Erdgas setzt aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung bei der Verbrennung rund 25 Prozent weniger CO2 frei als Benzin. Das alleine ist in einem Umfeld, in dem um jedes Gramm Kohlendioxid gerungen wird, ein gewaltiger und mit relativ überschaubaren Kosten erzielbarer Vorteil. Mit Bioethan aus nachwachsenden Rohstoffen oder synthetischem Methangas, das mit Hilfe erneuerbarer Energien erzeugt wurde, sinkt der CO2-Ausstoß rechnerisch sogar auf bis zu fünf Gramm pro Kilometer. Nicht einmal ein Elektrofahrzeug hat eine ähnlich gute Bilanz, es sei denn es wird ausschließlich mit Windenergie aufgeladen.
Statistisch betrachtet reichen die nachgewiesenen Reserven an fossilem Erdgas bei konstanter Förderung noch etwa 230 Jahre. Eingerechnet sind allerdings Vorkommen, deren Ausbeutung nach heutigem Stand der Technik noch nicht oder nur mit stark Umwelt belastenden Fördermethoden möglich ist. Doch als interessantere Option gilt ohnehin das chemisch identische Methangas. Zahlen belegen, dass dieser „nachwachsende Kraftstoff“ längst keine Utopie mehr ist. Bereits 96 Erdgas-Tankstellen in Deutschland bieten 100prozentiges Bio-Methan an, das im Wesentlichen aus Abfällen gewonnen wird. 270 Tank-Stationen mischen fossiles Gas mit synthetischer Ware. Das deutsche Biomasse-Forschungszentrum in Leipzig hat errechnet, dass jährlich 13 Millionen Tonnen Stroh ungenutzt verrotten. Alleine mit Gas aus dieser Biomasse könnten theoretisch vier Millionen Erdgasfahrzeuge betankt werden. Treibt dieses aus pflanzlichem Abfall gewonnene Gas einen Verbrennungsmotor an, entsteht dabei nicht mehr CO2 als die Pflanze während ihrer Wachstumsphase aufgenommen hat: Ein neutraler Kreislauf, bei dem kein zusätzliches Treibhausgas in die Atmosphäre gelangt.
Das Beispiel aus der Natur hat Schlüsselcharakter. Es verdeutlicht, dass CO2 mehr ist als ein Schadstoff, der das Weltklima bedroht. Gelänge es, die in CO2 gebundene Energie zurück zu gewinnen und erneut nutzbar zu machen, wäre Kohlendioxid plötzlich ein wertvoller Rohstoff, der dabei hilft, Energieprobleme zu lösen. Genau das geschieht in einer Pilotanlage, die Audi gemeinsam mit dem Anlagenbauer SolarFuel noch in diesem Jahr im norddeutschen Werlte in Betrieb nimmt. Die Anlage ist sozusagen die logische Konsequenz aus der Energiewende, die den Ausbau erneuerbarer Energielieferanten wie der Windenergie vorantreibt. Da sich Wind nach Mitternacht, wenn nur noch wenig Strom benötigt wird, nicht einfach abschalten lässt, wird es im Zeitalter der regenerativen Energie regelmäßig Phasen geben, in denen ein Überangebot an Strom produziert wird. In Werlte wird mit diesem grünen Strom per Elektrolyse Wasserstoff erzeugt, der in einem nachfolgenden Prozess mit CO2 reagiert, wobei Methangas entsteht, das direkt in die Erdgas-Infrastruktur eingespeist werden kann.
Hier noch einmal zusammengefasst die Vorteile, die Erd- oder Methangas bietet:
1. Bei der Verbrennung von Erdgas entsteht 25% weniger CO2 2. Die CO2-Bilanz lässt sich mit der Beimischung von Methangas weiter verbessern 3. Es ist bereits eine Infrastruktur vorhanden 4. Erdgas-Fahrzeuge haben – anders als Elektroautos – kein Reichweitenproblem 5. Praktisch jeder Ottomotor kann nach einer überschaubaren technischen Anpassung Erd- oder Methangas verbrennen 6. Mit Gas kann die Abhängigkeit von Erdöl relativ zügig reduziert werden
Dass Erdgas trotz dieser positiven Gesamtsicht bei Autofahrern noch nicht in Mode gekommen ist, dürfte zwei Gründe haben: die uneinheitliche Versorgungslage in Europa und das mangelhafte Fahrzeugangebot. In Ländern wie Frankreich oder Dänemark eine Erdgastankstelle zu finden, gestaltet sich schwierig, während in der Schweiz oder in Italien das Netz dichter geknüpft ist als in Deutschland. Hier könnte die EU mit Förderprogrammen positive Signale aussenden, was der Glaubwürdigkeit beim Klimaschutz ganz sicher nicht schaden würde.
Um ein größeres Angebot an Erdgas-Fahrzeugen will sich nun Europas Marktführer kümmern. Im VW-Konzern gelten Erdgas-Fahrzeuge ab sofort als unverzichtbarer Baustein, um die strengeren CO2-Vorgaben der EU zu erfüllen. Bei kleinen up wurde bereits auf die Dieselversion zugunsten des eco-up verzichtet, der nach Norm mit 2,9 Kilogramm Erdgas auskommt und damit zu den sparsamsten Serienautos weltweit zählt. Noch in diesem Jahr folgt ein Golf CNG mit 110 PS und einem Verbrauch von 3,6 Kilogramm. Und was beim Golf möglich ist, funktioniert bei allen Modellen des Konzerns, die auf dem neuen modularen Querbaukasten aufbauen. Ob Audi A3 Sportback, Seat Leon oder Skoda Octavia, von allen wird es künftig Versionen geben, die an der Erdgastankstelle vorfahren können. Als wahrscheinlich gilt, dass auch der nächste Tiguan CNG-tauglich wird. Wenn es VW gelingt, die Erdgas-Karte erfolgreich auszuspielen, dürfte es nicht lange dauern, bis andere dem Beispiel folgen. Dann käme ein Schneeballsystem in Gang, das über sinkende Preise zu mehr Nachfrage führen könnte. Ein Schneeballsystem, von dem Autokäufer und Umwelt profitieren würden.
Info Erdgas Als Kraftstoff ist Erdgas noch bis Ende 2018 steuerbegünstigt. Eine Nachfolgeregelung gilt als wahrscheinlich. Ein Kilogramm Erdgas enthält so viel Energie wie 1,3 l Diesel oder 1,5 l Benzin. Das bedeutet, dass die Energiemenge, die in einem Liter Benzin steckt, bei Erdgas nur etwa 77 Cent kostet. Trotzdem amortisiert sich die Anschaffung eines VW eco-up erst nach 60.000 Kilometern. Wird der Kauf von einem Energieversorger unterstützt (was in einigen Regionen der Fall ist), fährt man mit Erdgas allerdings wesentlich früher in die Gewinnzone. Das gilt natürlich auch dann, wenn Erdgas-Fahrzeuge künftig billiger werden sollten.
Hans-Joachim Rehg