Der Weg ins Wasserstoff-Zeitalter gleicht einem Marathonlauf
In Europa gibt es 25 Millionen-Städte. In China sind es 174 Metropolen, deren Einwohnerzahlen teilweise um ein Vielfaches darüber liegen. Noch ist die Pkw-Dichte gering. Auf 1000 Einwohnen kommen nur neun Autos, bei uns sind es 545, in den USA sogar 771. Die Zahlen belegen eindrucksvoll, dass der Nachholbedarf der Chinesen bei der Motorisierung des Landes wohl kaum allein auf Basis von Rohöl realisiert werden kann. Die Chinesen wissen das und zeigen reges Interesse an alternativen Energiekonzepten. Ein Teil der Wasserstoff-Versuchsflotte, die BMW im nächsten Jahr auflegt, wird in Shanghai ausgeliefert.
Hat mit dem BMW Hydrogen 7 das Wasserstoff-Zeitalter bereits begonnen? Wohl kaum. Obwohl der umgerüstete 7er mit Zwölfzylinder-Motor, der wahlweise Benzin oder Wasserstoff verbrennt, „spektakulär unspektakulär“ fährt, wie BMW-Technikvorstand Dr. Ing. Klaus Draeger betont, bleiben viele Probleme ungelöst. Es beginnt schon beim Tankvorgang: Der Zapfschlauch ist schwer wie ein Elefantenrüssel. Trotzdem muss die Zapfpistole millimetergenau an den Einfüllstutzen heran geführt werden. Doch auch als die druck- und kältedichte Kupplung endlich angedockt ist, fließt noch lange kein Wasserstoff. Bevor das auf minus 253 Grad Celsius abgekühlte und deshalb flüssige Gas in den vakuumisolierten Tank eindringt, der mehr als den halben Kofferraum beansprucht, reduziert das System erst noch den Innendruck.
Auch die Kostenbilanz ist alles andere als erheiternd. Nach einer ersten 40 Kilometer weiten Testfahrt im BMW Hydrogen 7 durch die Randbezirke Berlins waren zwei Kilogramm Wasserstoff nachzufüllen, das Kilo für acht Euro. Volltanken und das Auto mal eine Zeit lang stehen lassen, wird sogar zur puren Energieverschendung. Weil sich das flüssige Gas langsam erwärmt und ausdehnt, muss es gezielt in Form von Wasserdampf abgeblasen werden. In neun Tagen verdampft auf diese Weise eine halbe Tankfüllung. Und weil Wasserstoff derzeit vorwiegend aus Erdgas gewonnen wird, ist die CO2-Belastung höher als bei der direkten Verbrennung fossiler Kraftstoffe.
Trotzdem macht es Sinn, dass BMW demnächst 100 Fahrzeuge für ein halbes Jahr an Kunden verleast. Nur so lernen wir in der Praxis mit den Vor- und Nachteilen des exotischen Kraftstoffes umzugehen. Zu den Vorteilen zählt, dass Wasserstoff mit Luft sehr schadstoffarm verbrennt. Hauptbestandteil des Abgases ist Wasserdampf. Dass Wasserstoff die geringste Dichte aller Elemente hat, beispielsweise Metalle wie Platin problemlos durchdringt, 14,4mal leichter als Luft ist und mit minus 253 Grad Celsius einen sehr niedrigen Siedepunkt hat, stellt die Techniker dagegen vor schwer lösbare Aufgaben. Ein Drittel der erzeugten Wasserstoff-Energie geht bei der Verflüssigung des Gases verloren. Anders aber wäre Wasserstoff in einem Auto gar nicht einsetzbar. Mit acht Kilogramm flüssigem Wasserstoff hat der BMW Hydrogen 7 lediglich eine Reichweite von knapp 200 Kilometern. Eine Tankfüllung unter Normaldruck des Gases enthält nicht mehr Energie als ein Schnapsglas Benzin.
Zu den größten Nachteilen des Energieträgers zählt, dass er in reiner Form in der Natur nicht vorkommt. Nur wenn es gelingt, Wasserstoff unter Einsatz von Wasserkraft, Wind- oder Sonnenenergie durch Elektrolyse aus Wasser zu gewinnen, wäre der Weg frei für eine umweltverträgliche Mobilität. Warum BMW einen eigenen Weg geht und teuren Wasserstoff in einem 260 PS starken, schluckfreudigen Motor verfeuert, hat Gründe. Die Brennstoffzelle, die andere Hersteller bevorzugen, erreicht noch lange nicht die Leistungsdichte konventioneller Motoren. Und eine Abkehr vom Leistungsanspruch kommt für BMW kaum in Frage. Zumal die Motor-Spezialisten noch gewaltiges Entwicklungspotenzial sehen. Auf dem Prüfstand laufen bereits Vierzylinder-Turbos mit 300 PS, die voll an Wasserstoff angepasst sind und wesentlich höhere Wirkungsgrade erreichen als alle bekannten Benziner und Diesel.
Doch auch die Brennstoffzellen-Technik kommt voran. VW meldet Fortschritte bei der Hochtemperatur-Brennstoffzelle, die weniger Platz beansprucht, effizienter arbeitet und billiger herzustellen ist. Kernstück jeder Brennstoffzelle ist eine protonenleitende Membran, die eine Anode von einer Kathode trennt. Auf der einen Seite strömt Wasserstoff, auf der anderen Seite Luft in die Zelle. Es kommt zu einer chemischen Reaktion, bei der aus Wasserstoff und dem Sauerstoff der Luft Wasser entsteht. Die dabei freigesetzte elektrische Energie wird zum Antrieb eines Elektromotors genutzt.
Schwachpunkt des Systems war von Beginn der Entwicklung an die sehr temperaturempfindliche Membran. Die ersten Brennstoffzellen-Fahrzeuge mussten bei Frost in die gewärmte Garage, weil Temperaturen unter dem Gefrierpunkt die Membran irreparabel zerstörten. Aufwändige Kühlsysteme verhinderten, dass während der Fahrt keine Überhitzung erfolgte, was ähnliche Folgen gehabt hätte. Vorteil der Brennstoffzelle ist ihr hoher Wirkungsgrad: Über 50% der eingesetzten Energie werden in Vortrieb umgewandelt. Damit ist das System mehr als doppelt so effizient wie ein konventioneller Benziner. Das Brennstoffzellen-Fahrzeug von Mercedes, der F 600 Hygenius, leistet 115 PS und kommt mit einem Kilo Wasserstoff mehr als 100 Kilometer weit. Rechnet man die Energiemenge um in Benzin, ist der Mercedes, der einer B-Klasse nahe kommt, ein echtes Drei-Liter-Auto. Den Start eines Serienfahrzeuges mit Brennstoffzelle plant Mercedes zwischen 2012 und 2015, VW will ein „wettbewerbsfähiges Serienmodell“ vor 2020 auf der Straße haben.
„Der Weg ins Wasserstoff-Zeitalter ist ein Marathon und kein Sprint,“ philosophiert BMW-Vorstand Klaus Draeger. Niemand wird ihm da widersprechen. Doch alle Marathon-Läufer wissen: Wer sich nicht an den Start traut, wird das Ziel nie erreichen. Der Start in ein neues Energie-Zeitalter wird nur gelingen mit einer grundsätzlich neuen Ausrichtung, die abkehrt von der Verschwendungsmentalität des Öl-Zeitalters. Das ist eine große Herausforderung aber auch eine Chance, mit Ressourcen künftig sorgsamer umzugehen.
Hans-Joachim Rehg