Zukunft ohne Öl
Dieser Weg wird kein leichter sein
Langfristig betrachtet wird Erdöl immer knapper und damit zwangsläufig teurer. Wer eine finale Ölkrise vermeiden möchte, muss heute anfangen zu sparen und alternative Kraftstoffe einzusetzen
Es gibt auch noch gute Nachrichten für Autofahrer. Nach dem Rückzug israelischer Truppen aus dem Libanon und der Entdeckung eines riesigen Ölfeldes im Golf von Mexiko ist der Ölpreis unerwartet unter Druck geraten. Darauf zu hoffen, mit dem Abschlag von einigen Dollar pro Barrel (159 Liter) sei eine Trendwende eingeläutet worden, wäre allerdings mehr als blauäugig. Auch wenn sich Autofahrer derzeit darüber freuen, dass sie an der Zapfsäule deutlich weniger bezahlen als noch vor wenigen Wochen: Sinkende Kraftstoffpreise waren in den vergangenen Jahren stets eine kurzfristige, vorübergehende Erscheinung. Seit 2001 hat sich der Ölpreis getrieben von einer wachsenden Weltwirtschaft und einem kaum stillbaren Durst nach Rohöl in den aufstrebenden Wirtschaftsmächten China und Indien fast verdreifacht. Auch neue Funde wie die 15 Millionen Barrel Öl und Gas, die nun 8000 Meter unter dem Meeresspiegel 400 Kilometer südwestlich von New Orleans vermutet werden, können einen weiteren Preisanstieg langfristig kaum verhindern. Das entdeckte Vorkommen reicht gerade mal aus, um die Welt ein halbes Jahr zu versorgen.
Kein Experte kann indes exakt beziffern, wie groß die bekannten Ölvorräte tatsächlich sind. Das beginnt bereits bei der Frage, ob man kanadische Ölsande, deren Förderung nur mit gewaltigem Energieeinsatz in Form von Wasserdampf gelingt, dazu zählt oder nicht. Je nach Standpunkt lautet die Prognose, dass Öl noch 40, 50 oder 60 Jahre fließt. Keinesfalls dürfen solche Angaben zu der trügerischen Annahme führen, es sei noch genügend Zeit, sich nach Alternativen umzusehen. Denn ziemlich sicher ist, dass es Rohöl in den kommenden Jahrzehnten nicht zu heutigen Preisen geben wird. Der Konkurrenzkampf ums Öl hat gerade erst begonnen und die wachsende Nachfrage trifft künftig auf eine schrumpfende Zahl von Anbietern. Seit 1999 sinkt die Förderquote in der Nordsee. Die Vorräte der Förderstaaten USA, Mexiko, Norwegen und Großbritannien sind in maximal 15 Jahren aufgebraucht. 56 von 65 Erdöl produzierenden Ländern haben den so genannten Peak Oil (Höhepunkt der Förderung) bereits überschritten. In der Folge dieser Entwicklung steigt die Abhängigkeit von Saudi Arabien, Iran und anderen OPEC-Staaten*, die drei Viertel der weltweiten Reserven kontrollieren.
Dieses Szenario zeigt: Wer sich befreien möchte aus dieser politischen und ökonomischen Abhängigkeit und sich das Ziel setzt, Mobilität zu sichern und die damit verbundene Umweltbelastung zu reduzieren, muss jetzt die richtigen Weichen stellen für ein neues Zeitalter ohne Öl. Schweden will bereits im Jahr 2020 völlig unabhängig von fossilen Energieträgern sein und setzt auf nachwachsende Rohstoffe. Der vielfach beschworene Einstieg in die Wasserstoff-Wirtschaft scheitert zumindest kurzfristig an der aufwändigen Speichertechnik und der Frage, mit welcher Energie der Wasserstoff denn produziert werden soll. Denn ökologisch sinnvoll ist der neue Energieträger nur, wenn Wasserstoff unter Einsatz regenerativer Energien aus Wasser gewonnen wird. Steht hierfür ausreichend Solar- oder Windenergie zur Verfügung, ist tatsächlich vorstellbar, dass wir eines Tages mit Fahrzeugen unterwegs sind, die in einer Brennstoffzelle Strom für einen Elektroantrieb erzeugen und dabei nichts anderes freisetzen als Wasserdampf. Gegenüber heutigen Verbrennungsmotoren hat die Brennstoffzelle den Vorteil eines höheren Wirkungsgrades, der bis zu 85 Prozent erreichen kann. Von zehn Litern Diesel dagegen, die in einem herkömmlichen Motor verbrennen, werden nur 30 Prozent, also drei Liter für die Fortbewegung genutzt. Der Rest geht als nutzlose Wärme verloren. Bei einem Benziner ist diese Bilanz noch schlechter.
Doch es wird noch mindestens zwei bis drei Jahrzehnte dauern, bis Autos mit Brennstoffzelle in Serie produziert werden können. Eine lange Zeit, die mit alternativen Energien überbrückt werden muss, wenn die Ölvorräte gestreckt werden sollen. Nicht vergessen werden darf dabei eine riesige „Energiequelle“, die als solche eher selten wahrgenommen wird: die Sparsamkeit. Margo Oge, die Leiterin der amerikanischen Behörde für Transport und Luftqualität hat errechnet, dass pro Tag 1,4 Millionen Barrel eingespart werden könnten, wenn ein Drittel der Light-Trucks in den USA (große Geländewagen und Pickups) statt mit schluckfreudigen V6- oder V8-Benzinern mit modernen Dieselmotoren bestückt wären. 1,4 Millionen Barrel, das ist die Rohölmenge, die von den USA täglich aus Saudi Arabien importiert wird.
Sparpotenzial gibt es aber nicht nur in Amerika. Die europäische Autoindustrie wird das 1995 selbst formulierte Ziel bis zum Jahr 2008 den Verbrauch und damit die durchschnittlichen Kohlendioxid-Emissionen (CO2) aller Neufahrzeuge auf 140 g/km zu reduzieren, kaum einhalten können. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Derzeit wetteifern die Hersteller – wie die RS-Modelle von Audi, die M-Boliden von BMW und die AMG-Versionen von Mercedes beweisen – eher um das PS-stärkste Auto in jeder Klasse statt um das sparsamste. Hybrid-Fahrzeuge, die beim Ausrollen und Bremsen Energie zurück gewinnen können und im Stand keine Energie verbrauchen, sind noch Ausnahmeerscheinungen. Der Trend zu Vans und SUVs mit Allradantrieb führt auch nicht gerade zu weniger Verbrauch. Außerdem leiden neue Autos generell unter Gewichtszunahme, weil die Käufer sich für mehr Komfort entscheiden und gesetzliche Bestimmungen der Karosserie zusätzliche Kilo aufbürden. Die neuen Vorschriften zum Fußgängerschutz beispielsweise belasten jedes Auto im Schnitt mit 20 Kilogramm. Wie nachlässig mit dem Thema umgegangen wird, zeigt die Marotte, Autos mit Panorama-Glasdächern anzubieten, die das Gewicht und den Schwerpunkt negativ beeinflussen und vielleicht sogar ein elektrisches Rollo erfordern, damit es bei Sonnenschein innen erträglich bleibt. Gelänge es endlich, Autos auf Diät zu setzen, könnte man auch bei der Motorleistung abspecken, ohne den Fahrspaß zu beeinträchtigen.
Sparsamkeit ist eine Chance, den Ölverbrauch zu drosseln. Weitere Perspektiven bietet der Einsatz von Erdgas und anderen alternativen Kraftstoffen. Kaum Zukunftschancen werden dabei dem Biodiesel eingeräumt, einem typischen Biokraftstoff der ersten Generation. Die meist aus Rapsöl gewonnene zähe Suppe ist aufgrund schwankender Qualität und langen Kohlenstoff-Molekülen für moderne Dieselmotoren mit Partikelfilter ungenießbar. Weil bei der Produktion lediglich das Öl aus dem Samen der Pflanze gepresst wird, ist der Ertrag niedrig und der Flächenbedarf hoch. Eine wesentlich bessere Bilanz weist SunFuel auf. Dieser aus Biomasse synthetisch hergestellte Biokraftstoff der 2. Generation** ist extrem rein, was eine besonders schadstoffarme Verbrennung fördert. Er kann aus Pflanzenresten, Stroh oder Holzabfällen hergestellt werden. Weil bei dem Herstellungsverfahren nicht nur Samen oder Frucht, sondern die gesamte Biomasse genutzt wird, ist der Hektarertrag dreimal höher als bei Biodiesel. Volkswagen erforscht und fördert alternative Kraftstoffstrategien seit dem Jahr 2000 mit teils überraschenden Ergebnissen. Herausgestellt hat sich beispielsweise, dass bereits bei einer Beimischung von SunFuel zu normalem Dieselkraftstoff die Verbrennung insgesamt ruß- und schadstoffärmer wird. Auch die CO2-Belastung sinkt, weil die Pflanzen während ihres Wachstums Kohlendioxid, das später bei der Verbrennung frei wird, zunächst aus der Atmosphäre aufnehmen.
Ziel ist, bis zum Jahr 2020 europaweit 25 Prozent des benötigten Dieselkraftstoffes durch SunFuel zu ersetzen. Das klingt ehrgeizig, könnte aber sogar übertroffen werden, wenn es gelingt, neue Pflanzen zu züchten, die anspruchslos sind, schnell wachsen und viel Biomasse auf die Waage bringen. Bisher kam es bei Züchtungen hauptsächlich auf die Qualität der Frucht an. Beim »Sprit vom Acker« sind ganz andere Eigenschaften gefragt. Rund um Wolfsburg erntet Diplom-Landwirt Eckart Zipse auf seinen Felder bereits zweimal jährlich Biomasse, erst Getreide und im Spätsommer Mais und Sonnenblumen. Ganz neu ist es nicht, dass Bauern für die Mobilität im Einsatz sind. Auch der Haferanbau lieferte einst »Kraftstoff für Pferde«, damit die Kutschen fahren konnten.
Der neue synthetische Diesel kann aber nicht nur aus Biomasse sondern auch aus Erdgas hergestellt werden. Noch immer wird dieser Energieträger überall dort, wo er als Nebenprodukt der Ölförderung anfällt und Pipelines für den Abtransport fehlen, einfach abgefackelt. So entsteht derzeit in Nigeria eine GTL-Anlage (Gas to Liquid), die jährlich 1,5 Millionen Tonnen hochwertigen Kraftstoff aus Erdgas herstellt, das bislang ungenutzt verbrannte. Für VW-Chef Bernd Pischetsrieder ist es angesichts dieser Möglichkeit der Erdgas-Nutzung eine glatte Fehlsteuerung, heute viele Euro-Millionen in ein Erdgas-Tankstellennetz zu investieren, das kaum mehr benötigt wird, wenn die Steuerbefreiung dieses Kraftstoffs 2018 endet.
Künftige Steuermodelle, so die Forderung von VW, sollten sich strikt an der CO2-Effizienz und anderen Nachhaltigkeitskriterien orientieren. Dazu zählt unter anderem, dass der Anbau von Pflanzen, die Biomasse liefern, nicht mit der Nahrungsmittelproduktion konkurriert. Diese Gefahr besteht vor allem bei Ethanol, das bislang aus Mais, Weizen und Zuckerrohr gewonnen wird. Als Ausgangsprodukt für Bio-Ethanol der 2. Generation dient deshalb Stroh (Zellulose). Noch ist die Herstellung teuer, aber das Endprodukt eignet sich hervorragend als zehnprozentige Benzin-Beimischung und erlaubt den Technikern die Verdichtung der Motoren anzuheben und damit den Wirkungsgrad zu verbessern. Gelingt es, sich europaweit bei der Besteuerung von Kraftstoffen auf ein Modell zu einigen, das die C02-Belastung der Umwelt berücksichtigt, sind Biokraftstoffe ohne Frage konkurrenzfähig.
Eine schlüssige und notwendige Strategie für die kommenden Jahrzehnte kann nur lauten: Sparen und schrittweise Kraftstoffe, die auf Mineralöl basieren, ersetzen durch solche, die aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden. Gelingt dieser sanfte Übergang, bleibt der Welt womöglich eine finale Ölkrise erspart. Es ist kein leichter Weg, der vor uns liegt, aber auch kein bedrohlicher. Billiges Öl hat die Menschheit verführt zu einem beispiellos sorglosen Umgang mit Ressourcen. Eine Zukunft ohne Öl könnte als Chance begriffen werden, dies nachhaltig zu korrigieren.
Hans-Joachim Rehg
* OPEC: Die Organisation erdölexportierender Länder wurde 1960 mit dem Ziel gegründet, Förderquoten zu vereinbaren und damit Ölpreise zu beeinflussen. Zu den Mitgliedern zählen unter anderem Saudi Arabien, der Iran, Venezuela, die Arabischen Emirate und Nigeria.
** wird auch BTL (Biomass to Liquid) oder SunDiesel genannt.